Von der gesunden und der krankhaften Angst
Auf der anderen Seite können Ängste übermäßig stark werden, ohne erkennbaren Grund auftreten und das Leben einschränken. Diese krankhaften Ängste stellen nicht nur eine erhebliche Belastung für die Betroffenen dar, sondern führen auch zu weiteren Folgeproblemen im Privat- und Berufsleben. Es gilt somit, einen geeigneten Mittelweg zu finden, sich von den Ängsten nicht einschränken zu lassen, sondern die Angst als natürlichen Teil des Lebens zu verstehen, der uns schützt und auch Energie freisetzen kann.
Gesunde Ängste
Im Allgemeinen gibt es bestimmte Situationen, die häufig Angst auslösen, wohingegen andere kaum beängstigend sind. Im Sinne der sogenannten „preparedness“ sind Ängste vor großen Höhen, engen Räumen, großen Hunden und Spinnen weit verbreitet. In der Evolution des Menschen sind diese Ängste eine wichtiger Bestandteil, um Gefahren zu vermeiden. Auch die natürliche Sorge bei körperlichen oder psychischen Beschwerden kann dazu beitragen, rechtzeitig den Arzt oder Psychologen aufzusuchen, um diese Symptome abklären zu lassen und frühzeitig mit einer geeigneten Behandlung zu beginnen.
Krankhafte Ängste
Etwa jeder 5. Mensch hat Ängste, die das Leben einschränken und die Lebensqualität beeinträchtigen. Dazu gehören besonders Existenzängste, Angst unheilbar krank zu sein, Angst vor Kontrollverlust und Hilflosigkeit, Angst vor Einsamkeit und sozialer Isolierung, übermäßige Schüchternheit bis hin zur Angst vor sozialen Situationen, Angst nicht zu funktionieren oder nicht zu genügen, Angst Fehler zu machen, Angst vor Tieren, Angst vor Menschenansammlungen und öffentlichen Plätzen, Höhenangst und Platzangst. Diese Ängste sind gekennzeichnet durch übermäßige körperliche Unruhe und Anspannung, kombiniert mit belastenden, negativen Gedanken.
So kann ein Teufelskreis der Angst entstehen, bei dem zum Beispiel Herzrasen zu Angst vor einem Herzinfarkt führt, und dadurch in weiterer Folge das Herzrasen zunimmt. In einer psychophysiologischen Spirale (Körper-Psyche-Kopplung) werden körperliche Anspannung und negative Gedanken weiter aufgeschaukelt, bis eine Panikattacke entsteht.
Wenn bereits ein oder mehrmals solche Panikattacken aufgetreten sind, dann ist das Risiko für ein weiteres Auftreten erhöht. Es entwickelt sich eine Sensiblisierung und negative Erwartungshaltung. Im Sinne der „sich-selbst–erfüllenden-Prophezeiung“ schaukelt sich die Angst dann noch weiter auf.
Die verschiedenen Gesichter der Angst: Angstörungen
Panikstörung – Die Angst vor der Angst
Typischerweise treten innerhalb von wenigen Minuten starkes Herzklopfen, Druck auf der Brust, Schwitzen, Schwindel, Zittern, Kurzatmigkeit und andere Symptome auf, die oft so intensiv erlebt werden, dass die Angst vor einem Herzinfarkt oder umzufallen vorhanden ist (Todesangst). Nicht selten wird dann der Notarzt gerufen, wobei jedoch meist bereits das Eintreffen des Arztes zu einer Beruhigung führt und die Untersuchung im Allgemeinen keine körperliche Erkrankung ergibt.
Agoraphobie (Platzangst)
Sozialphobie
Die körperlichen Symptome sind ähnlich wie bei der Panikstörung (Herzklopfen, Schwitzen, Erröten, Kloßgefühl im Hals, etc.), sind jedoch nicht so massiv und treten nur in sozialen Situationen auf.
Generalisierte Angststörung
Spezifische Phobien (Höhenangst, Prüfungsangst & Co)
Häufige spezifische Ängst sind:
- Höhenangst
- Flugangst
- Angst vor Autofahren
- Blutphobie (mit Ohnmacht bei Blut sehen)
- Prüfungsangst
- Angst vor Tieren (Hunde, Spinnen, etc.)
- Spritzenangst
Die Ängste sind übertrieben stark ausgeprägt und führen im Allgemeinen zur Vermeidung dieser Situation bzw. zu großer Angst, wenn diese Situation eintritt.
Spezifische Phobien sind häufig vorhanden (ca. 10% der Bevölkerung), wobei viele Betroffene nur wenig dadurch beeinträchtigt sind, da durch ausgeklügelte Vermeidungsstrategien die Angst minimiert werden kann. Die Entstehung ist typischerweise in der Kindheit und Jugend bis Mitte der 20er.
Je nach Lebenssituation kann eine bereits längerfristig vorliegende Phobie subjektiv eine deutlichere oder geringere Beeinträchtigung im Alltag darstellen. So kann es sein, dass durch eine bevorstehende Prüfungssituation (Prüfungsangst) oder auch durch angstrelevante, zu überwindende Höhenmeter (Höhenangst) entsprechende Angstverstärkungen stattfinden.
Zwangsstörung
Akute Belastungsreaktion und posttraumatische Belastungsstörung
Wie kommt es zur Angsstörungen?
Längerfristige Ursachen
Andauernder Stress
Stress wird hier als jegliche Form der psychischen Belastung verstanden, die nicht oder nur ungenügend bewältigt werden. Folgende Stress-Situationen treten häufig auf: beruflicher Stress, Zeitdruck, Ärger mit Kollegen oder in der Familie, mangelnde Kontrolle über bestimmten Situationen, hohe Verantwortlichkeit, Überforderung und große belastende Lebensereignisse (Tod, Scheidung, etc.). Wenn Stress über längere Zeit hinweg andauert, ohne dass Erholungsphasen zwischendurch vorhanden sind, wächst die innere Anspannung und das Risiko für Angststörungen, andere psychische Störungen und psychosomatische Erkrankungen steigt.
Traumatische Erlebnisse
Besonders belastende Kindheitserlebnisse, wie Todesfälle in der Familie, Naturkatastrophen (Überschwemmung), Kriegserlebnisse und Gewalterlebnisse können zu Belastungen führen, die sich erst viele Jahre später in Form einer Angststörung manifestieren. Durch solche Ursachen können auch andere Beschwerden entstehen, wie z.B. Depressionen oder die posttraumatische Belastungsstörung.
Mangel an Lebenssinn
Wenn das Leben als wenig lebenswert empfunden wird, weil keine klaren Ziele und Aufgaben da sind (z.B. Familie, Erfolg im Beruf, bestimmte Hobbys) und positive Aktivitäten fehlen, ist das Risiko für Angststörungen erhöht.
Organische Ursachen
Organische Ursachen sind bei Angststörungen zwar selten, eine sorgfältige medizinische Abklärung vor Beginn einer Psychologischen Therapie ist aber wichtig.
Folgende organische (medizinische) Gründe gelten als Risikofaktoren für Angststörungen:
- Hormonelle Probleme
- Hyperventilation (zu rasche Atmung)
- Hypoglycämie (Abfall des Blutzuckerspiegels durch ungünstige Ernährung, Stress, bestimmte Krankheiten)
- Schilddrüsenüberfunktion
- Mitralklappenprolaps (Klappe zwischen linkem Vorhof und Kammer schießt nicht genügend; führt zu Herzrasen)
- Innenohrerkrankungen (kann zu Schwindel führen)
- Akute Reaktionen auf Koffein oder Drogen
- Entzug von Alkohol oder Beruhigungsmittel
- etc.
Wir führen in der Praxis eine sorgfältige medizinische Analyse dieser organischen Gründe durch.
Auslösende Bedingungen
Der Teufelskreis der Angst
Stresssituationen, die der ersten Panikattacke vorausgehen
Traumatische Situationen
Viele spezifischen Phobien (z.B. vor Hunden, engen Räumen) werden durch traumatische Ereignisse ausgelöst. Folgende Beispiele sind häufig: Ein Kind, das von einm Hund gebissen wird; eine Person, die im Lift stecken bleibt und Panik bekommt; eine Person, die beim Schwimmen beinahe ertrunken wäre; Autounfall; Naturkatastrophen (Überschwemmung, etc.).
Anregende / aufputschende Substanzen
Die übermäßige Einnahme von Coffein (Kaffee, Schwarztee, Red Bull, etc.) und Drogen (v.a. Stimulantien) kann einen Angstzustand auslösen.
Organische Einflüsse
Organische Gründe für das Auftreten von Angststörungen wurden bereits weiter oben dargestellt. Als direkter Auslöser ist hier noch ein Abfall des Blutzuckerspiegels durch Diätmaßnahmen von Bedeutung. Jedes Jahr in der Fastenzeit erleben einige Menschen Panikattacken, die durch die Einschränkung der Nahrungsaufnahme ausgelöst wurden. Im Allgemeinen sind dabei noch andere Einflüsse, wie Stress vorhanden, die erst in Kombination die kritische Schwelle für Panikattacken überschreiten lassen.
Aufrechterhaltende Bedingungen
Aufrechterhaltende Bedingungen führen dazu, dass die Angst bestehen bleibt, auch wenn die ursprünglichen Auslöser (z.B. belastende Lebensereignisse) nicht mehr vorhanden sind.
Vermeidung der angstauslösenden Situationen
Die Vermeidung angstauslösender Situation tritt häufig bei der Agoraphobie, der Sozialphobie und spezifischen Phobien auf. Hier wird dann von der „Angst vor der Angst“ gesprochen, d.h. die Angst davor, dass wieder ein Angstzustand auftreten könnte. Durch die Vermeidung wird die Angst „übermächtig“ und es wird nicht gelernt, dass die Situation an sich nicht bedrohlich ist. Je länger bestimmte Situationen gemieden werden, umso schwieriger wird es für die Betroffenen, wieder in diese Situationen hineinzugehen.
Angsterzeugende Selbstgespräche
Gedanken und innere Selbstgespräche, wie z.B.: „Ich könnte wieder Panik bekommen“, „Was werden bloß die anderen Leute denken“, „Niemand ist hier, um mir zu helfen“, „Ich bin dem hilflos ausgeliefert“, „Ich könnte einen Herzinfarkt bekommen“ führen dazu, dass der Teufelskreis der Angst weiter angetrieben wird und sich die Angst immer weiter verstärkt. Auch sogenannte irrationale Überzeugungen, wie „Die Welt ist gefährlich“, „Ich darf mir keine Fehler erlauben“, „Es steht mir nicht zu, einmal nichts zu tun“, „Andere Menschen sind feindselig“, „Alle Hunde sind gefährlich“, etc. führen zu einer Aufschaukelung des Angst-Teufelskreises.
Bei den angsterzeugenden Selbstgesprächen wird wirkungsvoll mit der Kognitiven Umstrukturierung angesetzt.
Unterdrückte Gefühle
Wenn Gefühle wie Ärger, Frustration, Traurigkeit oder auch Freude unterdrückt werden, kann eine sogenannte frei-flottierende Angst entstehen, eine Angst ohne genau zu wissen wovor.
Selbstunsicherheit
Selbstunsicherheit führt dazu, dass die eigenen Gefühle, Wünsche oder auch Beschwerden zu wenig ausgedrückt werden und dadurch das Gefühl entsteht, keinen Einfluss auf seine Umgebung zu haben. Hilflosigkeit, Frustration und körperliche Anspannung entstehen dadurch und können auch hier den Teufelskreis der Angst in Gang setzen.
Mangelnde Berücksichtigung eigener Bedürfnisse
Wenn zu wenig auf die eigenen Bedürfnisse, wie Erholung und Genuss geachtet wird, kann es zu einer psychischen und körperlichen Überforderung kommen und Angstzustände können ausgelöst werden bzw. weiterbestehen. Ein stressreicher Lebensstil ist hier ganz besonders kritisch.
Körperliche Anspannung
Körperliche Anspannung durch Stress, Fehlhaltungen (Muskelverspannung) oder ein ungünstiges Atemmuster (z.B. Hyperventilation) stellt selbst wieder eine Stress-Situation dar, in der das Wohlbefinden beeinträchtigt ist, oder Beschwerden, wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen, etc. entstehen. Sowohl die direkten Stresswirkungen als auch die Folgeprobleme führen zu einer Verstärkung der Angstbeschwerden.
Anregende Substanzen
Anregende Substanzen, wie Koffein oder bestimmte aufputschende Medikamente sind häufig bei Angstpatienten zu finden.
Psychologische Therapie
Die psychologische Therapie besteht aus verschiedenen Ansätzen, die in Abhängigkeit von den individuellen Problemen maßgeschneidert zum Einsatz kommen. Besonders bewährt haben sich Methoden aus der Klinischen Psychologie, die den Patienten in die Lage versetzen, die Angst selbst zu bewältigen (bewältigungsorientierte Therapie). Dabei werden erfolgreiche Ansätze aus der Verhaltenstherapie, Kognitive Umstrukturierung, Gesprächspsychotherapie, Biofeedback, Hypnose und Entspannungsverfahren kombiniert und ein optimales individuelles Therapieprogramm erstellt.
In einigen Fällen ist es darüber hinaus sinnvoll, die Entstehung der Ängste sorgfältig zu analysieren, um bestimmte Lebensprobleme zu identifizieren, die für die Angst verantwortlich sind (klärungsorientierte Therapie). Diese – häufig unbewussten – Probleme werden in der Therapie dann bewusst gemacht (aufgearbeitete) und damit einer Lösung zugeführt. Die Hypnose hat sich dabei sehr bewährt.
Medizinische Therapie
Selbsthilfe- Strategien
- Informieren Sie sich möglichst umfassend zum Thema Angst und Angstbehandlung. Je mehr Sie über sich und die eigenen Ängste erfahren, umso besser können Sie damit umgehen.
- Achten Sie darauf, sich nicht zu isolieren und zurückzuziehen. Die Vermeidung der ängstigenden Situationen täuscht nur eine vorübergehende Erleichterung vor und führt zu einer Verschlimmerung der Beschwerden!
- Versuchen Sie nicht durch Beruhigungsmittel oder Alkohol die Angst zu reduzieren. Es besteht eine große Gefahr der Abhängigkeit und langfristigen Verschlechterung der Beschwerden.
- Denken Sie daran, dass Ängste „nur“ übersteigerte Stressreaktionen des Körpers sind, die an sich nicht gefährlich sind.
- Tun Sie sich jeden Tag etwas Gutes, planen Sie angenehme Aktivitäten, um sich abzulenken und wieder Energie zu tanken.
- Lernen Sie ein Entspannungstraining (Biofeedback, Atementspannung, etc.) und führen Sie die Entspannung regelmäßig durch. Bei leichten Angstzuständen kann bereits dadurch eine deutliche Besserung erreicht werden. Bei Panikattacken sollte Entspannung jedoch mit einer psychologischen Therapie kombiniert werden. Entspannung alleine kann bei einigen Personen mit Panikattacken durch die verstärkte Wahrnehmung des Körpers zunächst auch Angst auslösen. Wenn man weiß, wie die Entspannung am besten eingesetzt werden kann, wird die bestmögliche Wirkung entfaltet.
- Wenn die Selbsthilfe-Strategien nicht den gewünschten Erfolg erbringen, sollten Sie überlegen, einen Klinischen Psychologen aufzusuchen. Je früher die psychologische Therapie ansetzt, umso rascher stellt sich der Erfolg ein. Eine Abklärung möglicher organischer Ursachen sollte zu Beginn beim Hausarzt oder Facharzt erfolgen.
Ratgeber- Tipps:
Mein Weg in die Entspannung von Dr. Norman Schmid (2013)
Nicht immer denken. Die Kraft von Achtsamkeit, Stille und Konzentration (2014)
CD Progressive Muskelentspannung & Co. von Dr. Norman Schmid (2012)